Korrigieren ist für mich oft eher Pflicht als Freude. Doch neulich passierte etwas Unerwartetes: Aus zähem Überarbeiten wurde pures Eintauchen in meine Geschichte – Flow vom Feinsten. Und dann kam der Bruch: eine Szene, die ich liebte, musste gehen. Warum das trotzdem gut war und wie ich den Schmerz überwunden habe, erzähle ich dir hier.
1. Pflichtgefühl am Holztisch – mein Korrekturstart in den Tag
Vor ein paar Tagen saß ich morgens an meinem Arbeitsplatz – dem Holzesstisch im Wohnzimmer – und startete mit dem Vorsatz, zwei bis drei Stunden ins Korrigieren meines zweiten Ansgar-Bandes zu investieren.
Ich hatte mir bewusst kein Seitenziel gesetzt, weil der Fortschritt davon abhängt, welche Probleme mir unterwegs begegnen.
Korrigieren gehört nicht zu meinen Lieblingsaufgaben beim Schreiben. Ich erfinde lieber neue Szenen, schicke meine Figuren auf Reisen. Überarbeiten dagegen ist Handwerk – und verlangt ständig Entscheidungen:
Ist diese Formulierung gut oder jene besser?
Kann ich das so stehen lassen oder wirkt es unlogisch?
Ist das Wort zu modern für meinen historisch angehauchten Roman?
Und da ich mich schon bei der Restaurantbestellung schwer entscheiden kann, war meine Laune nicht gerade in Höchstform – auch wenn der Ehrgeiz da war, endlich fertig zu werden. Es fühlte sich eher nach Pflicht als nach „Hurra“ an.
Meine Erwartung: einfach vorwärtskommen und ein paar Testleserkommentare abarbeiten.
Doch dann passierte etwas Überraschendes.
2. Plötzlich im Flow – wenn das Korrigieren Freude macht
Plötzlich zog es mich in einen Flowzustand. Das Überarbeiten lief leichter als gedacht, ich las mich begeistert durch mein Manuskript und freute mich an der Geschichte.
Das machte es auch einfacher, Stolperstellen zu erkennen: Wenn ich selbst über ein Wort oder einen Satz stolperte, wusste ich – hier stimmt etwas nicht.
Die Kommentare meiner Testleserin trugen dazu bei. Sie hatte nicht nur kritische Anmerkungen, sondern auch Aha-Momente, Lieblingssätze und begeisterte Randnotizen hinterlassen. Das motivierte mich enorm.
So wurden aus geplanten zwei, drei Stunden plötzlich vier, fünf – alles andere für diesen Tag schob ich beiseite. Und es blieb nicht bei einem Tag: Ich hatte mehrere Tage hintereinander diesen Flow und war binnen einer Woche durch den gesamten Roman. Bald kann ich ihn an meinen Lektor senden.
Im Flow werden selbst schwierige Entscheidungen leichter, weil man nah an den Figuren ist und Antworten direkt aus dem Text kommen. Das ist einfach schön.
3. Der Szenen-Schmerz – wenn liebgewonnene Momente gehen müssen
Der Flow hielt – bis ein Kommentar mich stoppte.
Es ging um eine kleine Szene: „Warum verrät Figur X das Ansgar? Sie kennt ihn kaum, müsste eigentlich Furcht haben. Das ist unlogisch.“
Ich mochte die Szene. Sie war heimelig, das Mädchen sympathisch, Ansgar bekam eine einfache Information.
Doch ich hörte schon meinen Lektor: „Das ist unverdient. Zu zufällig. Ansgar bleibt passiv.“
Mein Autorenherz protestierte: „Aber ich mag sie doch!“
Gleichzeitig wusste ich: Meine Testleserin hat recht. Behalten wäre bequem – aber nicht gut.
Am Ende entschied ich mich für einen Kompromiss: Die Szene blieb, aber komplett umgebaut.
Ansgar musste sich die Information nun erarbeiten – durch Spionieren, Konfrontation und aktives Handeln. Der Charme blieb, Spannung kam hinzu.
Ja, es kostete Zeit und Hirnschmalz, aber das Buch hat dadurch gewonnen.
4. Gefühle beim Kürzen – Frust, Trauer und Herzschmerz
Das ist der schwerste Teil des Korrigierens:
Geliebte Szenen loslassen, weil sie der Geschichte nicht dienen. Das fühlt sich an wie ein Abschied von einer guten Freundin.
Frust kommt hoch: „Weißt du, wie lange ich daran geschrieben habe?“
Traurigkeit meldet sich: „Aber diese Atmosphäre…“
Und manchmal ist es nicht nur Feedback von Testlesern, sondern eine klare Ansage vom Lektor.
In Band 1 hatte ich am Ende dreißig Seiten mit wunderschönen Winterwald-Beschreibungen. Mein Lektor sagte:
„Wenn du diese dreißig Seiten nicht streichst, dann brichst du deinem Spannungsbogen das Genick.“
Das war hart – und beeindruckend ehrlich.
Ich habe gekürzt. Heute weiß ich: Es war die richtige Entscheidung.
5. Warum es sich lohnt – Klarheit, Tempo und Spannung
Weil die Geschichte gewinnt:
Klarheit: Szenen, die nichts beitragen, lenken ab. Wer sie streicht, erzählt klarer und zielgerichteter.
Tempo: Kuschelszenen sind Erholungspausen – aber oft auch Tempo-Bremser.
Spannung: Füllszenen können Spannungsbögen einbrechen lassen.
Mein Tipp: Richte dir einen „Szenenfriedhof“ ein. Dort kannst du gekürzte Passagen parken – für Outtakes oder spätere Projekte.
6. Korrigieren ist hart, aber…
Es ist emotional, kognitiv und kräftemäßig anstrengend.
Aber wer sich auch den unbequemen Wahrheiten stellt, poliert seinen Text zum Edelstein.
Hab Mut, kritische Fragen zuzulassen und herausfordernde Kommentare als Wachstumschance zu sehen.
Du und dein Text – ihr könnt nur gewinnen.
Willst du noch mehr zum Thema Korrigieren lesen? Hier gehts zu meinem Artikel:
Meine 3 mal 3 besten Tipps zum Überarbeiten
Und du?
Bist du gerade beim Korrigieren?
Oder hast du schon mal etwas gestrichen, das dir am Herzen lag – und es später nicht bereut?
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