Rund ums Schreiben

Charaktere erstellen Teil 2

Vom Namen zur ausgefeilten Figur

Wenn du bis hierhin gekommen bist, hast du eine grobe Idee von deiner Figur und einen Namen. Wie kommt man jetzt zu einem ausgefeilten Hauptcharakter, einer liebenswerten Nebenfigur, dem fiesen Bösewicht oder dem Sidekick des Helden?

Es gibt viele Anleitungen und Charaktersheets um Figuren zu erfinden. Ich stelle mit diesem Post meine eigenen zwei Hilfen online: Einen Charakterbogen mit wichtigen Infos, den ich durchgehe und ausfülle, wenn ich eine Figur erfinde, und eine Ausfüllhilfe für den Charabogen.

Was gehört denn überhaupt zu einem Charakter, einer Figur?

Von äußerlichen Merkmalen wie Größe, Augen- und Haarfarbe bis zu einem Hinken oder ungewöhnlichen Narben, über Hintergründe, Eltern, Lebensgeschichte bis zu Zielen, Konflikten und Hoffnungen gehört fast alles hinein, was dir zu deiner Figur einfällt.

Schreibe ich das für alle Figuren in gleicher Ausführlichkeit?

Nein! Natürlich widme ich einer Hauptfigur viel mehr Aufmerksamkeit als einem Statisten, der dem Protagonisten nur einmal begegnet, um ihm den Weg zur nächsten U-Bahnstation zu erklären. Wenn die Nebenfigur aber der Schwippschwager des Attentäters ist und geheime Informationen besitzt, die wichtig werden könnten, dann, ja dann muss ich schon wieder genauer hingucken.

Und woher weiß ich, was ich eintragen soll in die entsprechenden Felder?

Nun zum einen horche ich in mich: was für eine Figur brauche ich? Soll es eine liebenswerte Bäuerin sein, die dem verfolgten Protagonisten einen Apfel schenkt oder Unterschlupf gewährt, oder eine durchtriebene Großstadtgöre, die dem armen Mobbingopfer auch noch ein Bein stellt? Je nachdem finde ich sicher andere Merkmale, die passen. 

Dann hängt es natürlich von meinen Vorlieben ab, ob meine Hauptfigur blonde oder braune Haare, Locken oder Glatze hat. Genauso kann ich fragen, was brauche ich, damit die Geschichte funktioniert? Welche Eigenschaften helfen meiner Figur, welche sind Handicaps, die die Sache spannend machen. Wenn meine Charaktere zu geschleckt sind, ist das genauso schlecht, als wenn ich sie zu kaputt darstelle (Außer es geht um ein Drogendrama oder eine Geschichte, in der ein absoluter Underdog einen unwahrscheinlichen Weg nimmt. Man sieht, auch hier hängt es davon ab, was du erzählen willst!). In den meisten Fällen stimmt irgendwas dazwischen. 

Ein Protagonist ohne Fehler ist langweilig, und wird sein Abenteuer zu glatt bestehen, was ebenfalls langweilig ist.  Ein Bösewicht, der nur schlecht und durch und durch Böse ist, ist unrealistisch und zu flach. Selten ist das Leben nur schwarz und weiß. Natürlich kann man überzeichnen in einem Roman, aber spannender wird es trotzdem, wenn der Böse eine winzige Schwäche für seine kleine Schwester und die Hauptfigur einen Fleck auf der weißen Weste hat. Es sei denn, man schreibt ein Kinderbuch oder ein sehr verklärtes Ritterepos. Natürlich sind auch sehr krasse Geschichten möglich, es kommt eben darauf an, was du erzählen möchtest.

Noch eine Anmerkung:

Gerade bei Fantasy oder Abenteuergeschichten, aber auch in anderen Zusammenhängen kommt es immer wieder vor, dass die Figur als Hintergrund etwas ganz Dramatisches mit auf den Weg bekommt: Oft sind da Waisen ohne irgendeine Familie unterwegs, die weder Eltern, noch Schwestern noch Brüder oder sonstige Verwandte haben, Leute, die eigentlich völlig traumatisiert sein müssten usw. 

Elternlos, geschwisterlos, heimatlos, obdachlos….  

Sicher ist es nett, wenn der Protagonist auf sich allein gestellt ist, aber zuviel des Schlechten ist auch unrealistisch. Außerdem ist es doch nett, in der Geschichte zu erzählen, wie es dazu kommt, dass er eben alleine ist, anstatt das schon vorher als Background anzunehmen. Und originell ist es schon lange nicht mehr, dem Helden eine solch katastrophale Vergangenheit anzudichten, sondern eher klischeehaft. Manchmal wünschte ich mir wirklich „normale“ Helden, Menschen wie du und ich, denen dennoch ein Abenteuer passiert. Natürlich gibt es immer Ausnahmen von der Regel. Letzte Woche habe ich zum Beispiel im Radio eine wahre Geschichte gehört: ein Waisenkind aus Kenia wird auf Umwegen zum Millionär, um dann später selber wieder Waisenkindern in ein anderes Leben zu helfen. Wow, das war anrührend und beeindruckend. Und natürlich ist eine solche Geschichte erzählenswert. https://www.jesus.ch/themen/people/erlebt/316990-vom_strassenjungen_zum_millionaer_und_zum_waisenvater.html

Zurück zum Erschaffen eines Charakters:

Wenn ich meinen Charakterbogen anschaue, dann gibt es bei der einen Figur Angaben, die ich offen lasse, während ich sie bei anderen Charakteren ausfülle. Der Charakterbogen soll nur Ideen geben, inspirieren, ich halte mich nicht sklavisch daran. Erinner dich, ich habe 50 Namen für die Personen in meiner Welt. Wollte ich für alle den ganzen Bogen ausfüllen, dann säße ich noch zehn Jahre an den Charabögen… Also intensive Arbeit an meinen Charakteren kann ich für drei, maximal vier Personen leisten, sonst überfrachtet es… manches kommt auch beim Schreiben… Und ich handhabe das so, dass ich meine Charabögen auch beim Schreiben immer wieder auf den neuesten Stand bringe, wenn ich zum Beispiel in Kapitel fünf feststelle, der Chara mag gern singen, dann tut er das und ich trage es eben nachträglich noch ein, damit ich es für später weiß.

Und was kommt dann?

Wenn ich soweit bin, dass ich denke, ich kenne meinen Chara, dann geh ich mit ihm spazieren, rede mit ihm und schmeiße ihn dann in seine erste Szene und gucke, wie er reagiert. Das kann schon direkt eine Szene der Geschichte sein, die ich erzählen will, oder aber aber auch eine „Probeszene“. Ein Test sozusagen, ein: wie reagierst du, wenn einer deine Quietscheente kaputt macht? Was sagst du, wenn das Telefon klingelt und dein Lieblingssänger ist dran? Oder wie sieht die erste Begegnung mit dem König aus?

Denk dir spannende, kreative Situationen aus und frag deinen Chara, was er tun würde! Es ist erstaunlich, zu sehen, was dabei heraus kommt. Keiner sagt, dass du alles, was du jetzt ausprobierst, später verwenden musst für die Geschichte. Es geht nur darum, deine Figur besser kennen zu lernen.

Meine Erfahrung ist: Der Charakter entwickelt sich beim Schreiben weiter, bekommt ein Eigenleben… manchmal tritt er mich vors Schienbein, manchmal beschimpft er mich für die Schwierigkeiten, in die ich ihn bringe. Manchmal sagt er: „Ätschbätsch, so bin ich gar nicht.“ Und manchmal sprudeln Ideen aus ihm heraus, wie es weiter gehen kann. Wenn ich mit meiner Hauptfigur mitleide, jubele, tanze oder shoppen gehe, dann fließt Kreativität. 

Am Ende habe ich einen mehr oder weniger ausgefüllten Charakterbogen und eine Figur mit der ich arbeiten kann. Für mich ist dabei aber nichts in Stein gemeißelt. Es gibt immer zwei Möglichkeiten: Wenn mein Charakter in einer Situation nicht so reagiert, wie ich es erwarte und für den Fortgang der Geschichte brauche, muss ich überlegen: Ändere ich die Geschichte an dieser Stelle, so dass es passt, oder muss ich Eigenschaften meines Charakters passend machen?

Aber Achtung: Eigenschaften des Charakters zu ändern, bedeutet auch, dass er eventuell an anderen Stellen anders reagiert. Es ist ein komplexes Zusammenspiel und erfordert Fingerspitzengefühl.

Deshalb wünsche ich dir nun viel Spaß beim Charabasteln und ein gutes Augenmaß, für das, was in deiner Geschichte funktioniert.

PS: Nur als Randbemerkung: Wenn man für ein Rollenspiel Charaktere erschafft, wird oft ausgewürfelt, welche Eigenschaft der Charakter in welchem Maß besitzt…. Auch eine Möglichkeit, oder?

Ich würde mich freuen, von dir zu hören, wie es dir mit deinen Charakteren geht und ob meine Anleitungen hilfreich sind! 

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